Hallo Peter,
eine wirklich interessante Untersuchung (s.u.) - danke für den Hinweis.
Gruß
Hans-Werner
4.2.2 Zur Rolle der Großschreibung beim Lesen
Beim Streit um Sinn und Unsinn der satzinternen Großschreibung
(Beispiele besonders heftiger Pros und Kontras bietet das Sammelbändchen
von Digeser 1974) ist eine interessante Asymmetrie zu beobachten: Ihre
Gegner weisen auf die Rechtschreibprobleme für den Schreiber hin, ihre
Befürworter auf den Nutzen für den Leser. Das Lese-Argument lautet, dass
durch bessere Gliederung des Textes eine schnellere Sinnentnahme möglich
sei. Da der Mensch erheblich mehr liest als er schreibt, biete es sich
an , eher diese überwiegende Tätigkeit, das Lesen, zu erleichtern. Das
Gegenargument lautet, dass man ohne satzinterne Großschreibung viel
kostbare Unterrichtszeit anderen wichtig en Dingen widmen könnte.
Es ist deshalb wichtig zu klären, ob die Großschreibung den Lesevorgang
tatsächlich erleichtert. Es könnte ja auch sein, dass es nur die Macht
der Gewohnheit ist, die uns zu dieser Annahme gelangen lässt. Im
Hinblick auf diese Fragestellung erlangen einige experimentelle Studien
besondere Bedeutung, die eben dieses zu überprüfen versuchten, vgl. u.a.
Bock, Hagenschneider & Schweer (1989) sowie Gfroerer , Günther & Bock
(1989). Um den Faktor der „Gewohnheit“ auszuschließen, waren die
wichtigsten Versuchspersonen nicht Deutsche, sondern deutschkundige
Niederländer, die zwar aufgrund ihrer Sprachkenntnisse auch die deutsche
Schreibung kennen, aber Lesen im Niederländischen gelernt haben; hier
werden nur Satzanfänge und Eigennamen großgeschrieben.
Die Untersuchungen brachten überraschende Ergebnisse: Auch für die
niederländischen Versuchspersonen stellten die Regeln der deutschen
Großschreibung eine Hilfestellung dar, die den Leseprozess
beschleunigten. Sie konnten Texte in ihrer eigenen Muttersprache (!) mit
den fremden satzinternen Großbuchstaben ohne Verständnisprobleme
schneller lesen als solche mit der ihnen vertrauten gemäßigten
Kleinschreibung. Detailanalysen der Augenbewegungsmuster ließen den
Schluss zu, dass in der Tat der Orientierungscharakter der
Großbuchstaben dafür verantwortlich war (Gfroerer et al. 1989).
Dieses Ergebnis leuchtet dann ein, wenn man sich klar macht, was das
Auge bei der gemäßigten Kleinschreibung zu leisten hat. diese bietet dem
auge nämlich ein homogeneres bild graphisch mehr oder weniger gleich
großer buchstaben: zwar ist nach wie vor das vierlinien-schema erhalten,
aber optische orientierungspunkte fehlen. Aus einem Bild wie in dem
Beispielsatz, den Sie gerade gelesen haben, muss nun die sprachliche
Struktur herausgefiltert werden. Diesen notwendigen Analysen scheint die
deutsche satzinterne Großschreibung entgegenzukommen, sie bietet dem
Auge eine Hilfe an. Durch die nicht nur rein optische Vorstrukturierung
erhält das Auge graphische Zusatzinformationen über funktional wichtige
Stellen des Satzes, und dies sind im deutschen Satz eben die Kerne von
Nominalgruppen. Sie sind zwar nicht die „Hauptwörter“ des Satzes, aber
offenbar seine „Hauptstellen“; wie im ersten Kapitel erläutert, besteht
die Grundstruktur des deutschen Satzes aus dem Verb und seinen
Ergänzungen. Wenn der Kern jeder Ergänzung (allgemeiner: jeder
Nominalgruppe) durch einen Großbuchstaben ausgezeichnet wird, kann der
Satz dadurch direkt strukturiert werden, was sich positiv auf die
Lesegeschwindigkeit auswirkt.
http://www.uni-koeln.de/phil-fak/deutsch/sprachdidaktik/koebes/guenther_nuenke.pdf
------ Originalnachricht ------
Von: "Peter Geerds" <p.geerds@t-online.de>
An: users@de.libreoffice.org
Gesendet: 02.07.2017 17:53:57
Betreff: Re: [de-users] Re: Nur zur Info | Neue Rechtschreibregeln
Hallo Peter!
Am 02.07.2017 um 17:35 Uhr schrieb Peter Mulller:
interessant, wann gab es diese Untersuchung/Überlegungen?
Peter Mulller
Eigentlich schon immer ;-)
https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/files/9418/ppr114_online.pdf
(von 2014)
Vielleicht interessiert dich auch das:
http://www.psychologie.hhu.de/fileadmin/redaktion/Oeffentliche_Medien/Fakultaeten/Mathematisch-Naturwissenschaftliche_Fakultaet/Psychologie/DDP/Themen/Projektbeschreibung_substantivgrossschreibung.pdf
Und noch seeeehr interessant:
http://www.uni-koeln.de/phil-fak/deutsch/sprachdidaktik/koebes/guenther_nuenke.pdf
Man hat in den Niederlande die Kleinschreibung eingeführt
und etliche Jahre später einigen Lesern einen Text
vorgelegt, der - in Anlehnung an deutsche Großschreibung -
groß geschriebene Nomen enthielt und dadurch schneller
gelesen werden konnte.
Viele Grüße
Peter
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