Date: prev next · Thread: first prev next last
2017 Archives by date, by thread · List index


Hallo Peter,

eine wirklich interessante Untersuchung (s.u.) - danke für den Hinweis.

Gruß
Hans-Werner


4.2.2 Zur Rolle der Großschreibung beim Lesen

Beim Streit um Sinn und Unsinn der satzinternen Großschreibung (Beispiele besonders heftiger Pros und Kontras bietet das Sammelbändchen von Digeser 1974) ist eine interessante Asymmetrie zu beobachten: Ihre Gegner weisen auf die Rechtschreibprobleme für den Schreiber hin, ihre Befürworter auf den Nutzen für den Leser. Das Lese-Argument lautet, dass durch bessere Gliederung des Textes eine schnellere Sinnentnahme möglich sei. Da der Mensch erheblich mehr liest als er schreibt, biete es sich an , eher diese überwiegende Tätigkeit, das Lesen, zu erleichtern. Das Gegenargument lautet, dass man ohne satzinterne Großschreibung viel kostbare Unterrichtszeit anderen wichtig en Dingen widmen könnte.

Es ist deshalb wichtig zu klären, ob die Großschreibung den Lesevorgang tatsächlich erleichtert. Es könnte ja auch sein, dass es nur die Macht der Gewohnheit ist, die uns zu dieser Annahme gelangen lässt. Im Hinblick auf diese Fragestellung erlangen einige experimentelle Studien besondere Bedeutung, die eben dieses zu überprüfen versuchten, vgl. u.a. Bock, Hagenschneider & Schweer (1989) sowie Gfroerer , Günther & Bock (1989). Um den Faktor der „Gewohnheit“ auszuschließen, waren die wichtigsten Versuchspersonen nicht Deutsche, sondern deutschkundige Niederländer, die zwar aufgrund ihrer Sprachkenntnisse auch die deutsche Schreibung kennen, aber Lesen im Niederländischen gelernt haben; hier werden nur Satzanfänge und Eigennamen großgeschrieben.

Die Untersuchungen brachten überraschende Ergebnisse: Auch für die niederländischen Versuchspersonen stellten die Regeln der deutschen Großschreibung eine Hilfestellung dar, die den Leseprozess beschleunigten. Sie konnten Texte in ihrer eigenen Muttersprache (!) mit den fremden satzinternen Großbuchstaben ohne Verständnisprobleme schneller lesen als solche mit der ihnen vertrauten gemäßigten Kleinschreibung. Detailanalysen der Augenbewegungsmuster ließen den Schluss zu, dass in der Tat der Orientierungscharakter der Großbuchstaben dafür verantwortlich war (Gfroerer et al. 1989).

Dieses Ergebnis leuchtet dann ein, wenn man sich klar macht, was das Auge bei der gemäßigten Kleinschreibung zu leisten hat. diese bietet dem auge nämlich ein homogeneres bild graphisch mehr oder weniger gleich großer buchstaben: zwar ist nach wie vor das vierlinien-schema erhalten, aber optische orientierungspunkte fehlen. Aus einem Bild wie in dem Beispielsatz, den Sie gerade gelesen haben, muss nun die sprachliche Struktur herausgefiltert werden. Diesen notwendigen Analysen scheint die deutsche satzinterne Großschreibung entgegenzukommen, sie bietet dem Auge eine Hilfe an. Durch die nicht nur rein optische Vorstrukturierung erhält das Auge graphische Zusatzinformationen über funktional wichtige Stellen des Satzes, und dies sind im deutschen Satz eben die Kerne von Nominalgruppen. Sie sind zwar nicht die „Hauptwörter“ des Satzes, aber offenbar seine „Hauptstellen“; wie im ersten Kapitel erläutert, besteht die Grundstruktur des deutschen Satzes aus dem Verb und seinen Ergänzungen. Wenn der Kern jeder Ergänzung (allgemeiner: jeder Nominalgruppe) durch einen Großbuchstaben ausgezeichnet wird, kann der Satz dadurch direkt strukturiert werden, was sich positiv auf die Lesegeschwindigkeit auswirkt.

http://www.uni-koeln.de/phil-fak/deutsch/sprachdidaktik/koebes/guenther_nuenke.pdf


------ Originalnachricht ------
Von: "Peter Geerds" <p.geerds@t-online.de>
An: users@de.libreoffice.org
Gesendet: 02.07.2017 17:53:57
Betreff: Re: [de-users] Re: Nur zur Info | Neue Rechtschreibregeln

Hallo Peter!

Am 02.07.2017 um 17:35 Uhr schrieb Peter Mulller:

interessant, wann gab es diese Untersuchung/Überlegungen?

Peter Mulller


Eigentlich schon immer ;-)
https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/files/9418/ppr114_online.pdf
(von  2014)
Vielleicht interessiert dich auch das:
http://www.psychologie.hhu.de/fileadmin/redaktion/Oeffentliche_Medien/Fakultaeten/Mathematisch-Naturwissenschaftliche_Fakultaet/Psychologie/DDP/Themen/Projektbeschreibung_substantivgrossschreibung.pdf
Und noch seeeehr interessant:
http://www.uni-koeln.de/phil-fak/deutsch/sprachdidaktik/koebes/guenther_nuenke.pdf

Man hat in den Niederlande die Kleinschreibung eingeführt
und etliche Jahre später einigen Lesern einen Text
vorgelegt, der - in Anlehnung an deutsche Großschreibung -
groß geschriebene Nomen enthielt und dadurch schneller
gelesen werden konnte.

Viele Grüße
Peter


--
Liste abmelden mit E-Mail an: users+unsubscribe@de.libreoffice.org
Probleme? http://de.libreoffice.org/hilfe-kontakt/mailing-listen/abmeldung-liste/
Tipps zu Listenmails: http://wiki.documentfoundation.org/Netiquette/de
Listenarchiv: http://listarchives.libreoffice.org/de/users/
Alle E-Mails an diese Liste werden unlöschbar öffentlich archiviert


--
Liste abmelden mit E-Mail an: users+unsubscribe@de.libreoffice.org
Probleme? http://de.libreoffice.org/hilfe-kontakt/mailing-listen/abmeldung-liste/
Tipps zu Listenmails: http://wiki.documentfoundation.org/Netiquette/de
Listenarchiv: http://listarchives.libreoffice.org/de/users/
Alle E-Mails an diese Liste werden unlöschbar öffentlich archiviert

Context


Privacy Policy | Impressum (Legal Info) | Copyright information: Unless otherwise specified, all text and images on this website are licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 License. This does not include the source code of LibreOffice, which is licensed under the Mozilla Public License (MPLv2). "LibreOffice" and "The Document Foundation" are registered trademarks of their corresponding registered owners or are in actual use as trademarks in one or more countries. Their respective logos and icons are also subject to international copyright laws. Use thereof is explained in our trademark policy.